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R.

Jahrgang 2004

Schüler

Nierentransplantation 2005

Meine Botschaft

„Das neue Organ ist ein neuer Anfang für das Leben. Man sollte diese Möglichkeit auf jeden Fall nutzen, wenn man sie hat. Ich habe erst im Grundschulalter verstanden, dass es Dinge gibt, die ich nicht machen darf. Man muss lernen, auf sich besser aufzupassen und das neue Leben trotz aller Widrigkeiten annehmen.“

Patient Rico lächelt in die Kamera
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Meine Krankenvorgeschichte

R.s Mutter erzählt:

„In der 19. Schwangerschaftswoche wurde bereits festgestellt, dass bei R. nur eine Niere angelegt worden ist. Ich habe das im Abstand von 14 Tagen weiterhin kontrollieren lassen, aber es war definitiv nur eine Niere. Ansonsten verlief die Schwangerschaft sehr gut.

Nach der Geburt musste ich mit R. erst einmal ins Krankenhaus und dann in eine Spezialklinik. Das kann ich auch nur wärmstens empfehlen: „Wenn die Kinder was haben, lasse ich sie nur in einer Spezialklinik untersuchen.“ In der Klinik wurde schnell klar, dass R. mit der einen Niere nicht lange überleben wird. Und es wäre kein schönes Leben gewesen – mit Stoma, Magensonde und vielen Medikamenten. Bis zur Transplantation haben wir im Krankenhaus gelebt.“

Die Wartezeit

R.s Mutter erzählt:

„Mit einem halben Jahr wurde er bereits auf die Transplantationsliste gesetzt und genau an seinem ersten Geburtstag haben wir morgens den Anruf bekommen, dass ein Organ gefunden wäre. Während dieser Zeit musste ich mich mit dem Gedanken einer Transplantation anfreunden. Das war anfangs sehr schwierig. Wir hatten auch bisher nie einen so schweren Krankheitsfall in der Familie. Erst als eine Freundin zu mir sagte: „Er muss nur transplantiert werden. Er lebt“, war für mich klar: Ja, natürlich. Sie hat recht. Warum muss ich jetzt heulen oder mir Gedanken machen? Mein Kind wird mit einer Transplantation überleben. Zwar anders als andere Kinder, aber er wird ein normales Leben führen können.

Ich hatte ein kleines Appartement und habe wirklich nur mit Pfleger:innen und Ärzt:innen der Kinderstation über die Transplantation geredet. So haben wir uns informiert. Natürlich habe ich auch im Internet recherchiert, aber das war der kleinere Teil. Zudem haben wir andere Familien im Krankenhaus kennengelernt, mit denen wir auch heute noch befreundet sind und Freizeiten verbringen.

Ich habe mich in dieser Zeit stark von der Außenwelt abgeschottet und ein ganz anderes Leben geführt. Die erste Zeit war ich mit in R.s Zimmer und habe dort geschlafen. Zwar hatten R. und ich so unseren geschützten Bereich, aber diese Zeit war sehr schwierig für R.s Vater und seinen älteren Bruder. Ich konnte mich nicht von R. trennen und war 24 Stunden bei ihm. Wenn ich mal eine halbe Stunde zum Kaffeetrinken gegangen bin, war ich schon unruhig. Aber in dieser Zeit war das vollkommen in Ordnung; dort waren R. und ich in einem sicheren Umfeld. Im Krankenhaus wurde auch untersucht, ob ich als Spenderin infrage käme. Die nötigen Faktoren haben übereingestimmt und somit wurde der Termin zur Transplantation meiner Lebendspende in den folgenden Monaten angesetzt. Allerdings kam es anders.

Ende Dezember wollten wir eigentlich R.s ersten Geburtstag bei uns zu Hause feiern. Meine Familie wollte anreisen, denn ich hatte einen großen Brunch geplant, um noch einmal zu feiern, bevor meine Lebendspende anstand. Während R.s Vater und Bruder das Frühstück vorbereiteten, war ich war noch mit ihm oben, um uns fertig zu machen. Dann klingelte das Telefon.

Am anderen Ende der Leitung sprach eine ganz liebe Ärztin, mit der ich auch heute noch Kontakt habe, und sagte: „Du wirst es nicht glauben, aber ihr müsst jetzt sofort zu uns kommen. Wir haben eine Spenderniere.“ Erst habe ich sehr ungläubig reagiert, aber das schüttelte ich schnell ab. Wir hatten stets eine Tasche für alle Fälle gepackt und sind direkt ins Krankenhaus gefahren. Von unterwegs habe ich noch drei oder vier weitere Personen angerufen und ihnen gesagt, dass der Geburtstag ausfällt, weil wir einen anderen Grund zum Feiern haben. Sie möchten doch alle anderen informieren.

Dann wollten wir auch nichts mehr wissen und haben uns auf uns konzentriert. Die zwei Stunden Fahrt taten uns auch gut, sodass wir runterkommen und das Erlebte sacken lassen konnten.“

Die Operation

R.s Mutter erzählt:

„Im Zentrum haben alle bereits auf uns gewartet und das Zimmer war fertig. Wir mussten auch nicht mehr so viele Vorbereitungen treffen, da wir seit einem Jahr eben schon stationär waren. Trotzdem waren wir schon einige Stunden im Krankenhaus, bevor die Operation starten konnte. Diese hat auch in etwa fünf Stunden gedauert, aber genau erinnere ich mich nicht mehr. Diese Zeit habe ich wie in Trance erlebt.

Wir saßen allein im Zimmer, haben gewartet, geschlafen und ein Buch gelesen … eigentlich war es ganz entspannt. Natürlich war aber auch die Angst da, dass etwas schieflaufen und die Transplantation doch nicht durchgeführt werden könnte. Ich gebe ehrlich zu, dass ich auch dankbar war, dass ich meine Niere doch nicht abgeben musste. Diese OP wäre 14 Tage später gewesen.

Dann hat man uns angerufen, es ist alles gut gelaufen. Morgens durften wir dann zu R. auf die Intensivstation. Er lag da und mit ihm zehn Geräte, Schläuche und der Stoma-Ausgang. Dieser Anblick war sehr schwer und den werde ich auch nie wieder los. Die Spenderniere kam von einem jungen Erwachsenen. Es war daher ein schwieriges Unterfangen, sie einem Kind einzusetzen, das zu dieser Zeit nur 8 Kilo gewogen hat. So war R. nach der Operation länger auf der Intensivstation gelegen. Erst am vierten Tag ist die Niere dann angesprungen.

Für seinen Spender empfinde ich unendliche Dankbarkeit und wirklich große Hochachtung. Ich habe einmal überlegt, über das Transplantationszentrum einen Brief zu schreiben, aber ich weiß nicht, wie sich die Hinterbliebenen fühlen – oder wie ich mich als Hinterbliebene fühlen würde. Ich sehe das Thema Organspende nun mit anderen Augen.“

Die ersten Monate

R.s Mutter erzählt:

„Die Eingewöhnung war für uns ein leichter Übergang, weil R. eben auch vorher schwer krank war. Da hatte sich unser Leben bereits dramatisch geändert. Ich hatte eine lange Anlaufphase, um mich daran zu gewöhnen, dass unser Leben, wie wir es vielleicht früher mal gewollt und gelebt haben, nie mehr so stattfinden kann. Aber wir haben uns damit arrangiert und angefreundet.

Nach der Intensivstation kam R. auf die normale Station. Insgesamt waren wir dann noch einmal vier Wochen im Krankenhaus. Im ersten halben Jahr waren wir wegen diverser Komplikationen jeden Monat im Krankenhaus. Zusätzlich zum Stress der Krankheit kamen die andauernden Fahrten, die sehr viel unserer Zeit weggenommen haben.

Als wir zu Hause ankamen, war alles großartig. Meine Freundinnen kamen und wir konnten mal wieder ein Glas Sekt trinken. Man konnte in seinem eigenen Bett schlafen, den Fernseher anschalten, … Es sind die Kleinigkeiten, die man im normalen Leben jeden Tag mal eben macht. Aber nicht, wenn man so lange Zeit nur im Krankenhaus verbracht hat. Danach zwitschern selbst die Vögel viel, viel schöner.“

Das neue Leben

R.s Mutter erzählt:

„Auch R. ging es gut. Er ist direkt in die Krabbelgruppe gekommen, die meine Freundin für Kinder ab zwei Jahren hält. Erst ist er einmal die Woche eine Stunde mitgegangen, dann waren es zweimal in der Woche. Als R. 1 ½ Jahre alt war, sind wir mit dem Wohnmobil zum ersten Mal an die Nordsee gefahren. Zwar mussten wir auf dem Rückweg am Transplantationszentrum vorbei, weil R. stark gefiebert hat, aber der Urlaub war trotzdem schön.

Mit 3 ½ ist er dann in den Kindergarten gekommen. Draußen spielen haben wir sehr vorsichtig begonnen, da konnte er mit den anderen Kindern anfangs noch nicht viel tun, aber auch das ging immer besser. Ab dem Kindergarten wollte R. auch über Mittag bleiben. Das zog sich dann auch über die Grundschule bis zur weiterführenden Schule. Er wollte schnell Dinge selbstständig machen.“

R. erzählt:

„Im Grundschulalter habe ich gemerkt, dass ich bei manchen Dingen nicht mit den anderen Kindern mithalten kann, wenn sie zum Beispiel Karate gemacht oder pausenlos über den Schulhof gerannt sind. Dazu fehlte mir einerseits die Ausdauer und Kampfsport fiel aufgrund der Verletzungsgefahr aus. Ich habe nichts Spezielles empfunden zu dieser Zeit, sondern die Situation einfach akzeptiert und mich nicht weiter daran gestört. 

Ich habe dann alternativ mit Handball und Fußball begonnen und die Sportarten getrieben, bis ich in etwa 13/14 war. Leider wurde der Körpereinsatz in beiden Disziplinen immer größer, sodass ich dann mit beidem aufgehört habe. Eigentlich dachte ich, bei Handball läuft das nicht so heftig ab, aber das war ein großer Trugschluss.

In meiner Schule wurde ich bisher nie auf das Thema Transplantation angesprochen, außer wenn wir mit der Klasse schwimmen waren. Aber auch dort wurde nur kurz erklärt, dass ich nicht mitmachen kann und damit war das Thema erledigt. Der Einzige, mit wem ich mich etwas länger darüber unterhalten habe, war mein damaliger bester Freund, weil bei seinem kleinen Bruder auch eine Niere transplantiert wurde.

Regelmäßig fahre ich mit anderen transplantierten Kindern und Jugendlichen auf organisierte Freizeiten. Je nach Art der Freizeit ist auch die ganze Familie dabei. Dort habe ich gute Freunde kennengelernt, die ich so jedes Jahr wiedersehe. Die leben genauso wie ich mit Medikamenten und der besonderen Verantwortung bei der Flüssigkeitszufuhr, aber sonst können wir alles unternehmen und haben ein ganz normales Leben. Es ist allerdings nicht so, dass wir auf diesen Freizeiten nur über Transplantationen reden. Je nach Altersgruppe gab es Bastel- oder Kletteraktionen, Challenges und Wanderungen. Wir waren sogar schon einmal Skilaufen. Vor und nach den Aktivitäten kümmern wir uns gemeinsam ums Essen und Spiele am Abend. Ich habe wirklich gute Freundschaften in diesen Freizeiten aufgebaut und freue mich sehr, wenn auch mal Treffen außerhalb stattfinden können.

Über die Transplantation wird zwischendurch aber schon auch gesprochen. Das passiert hauptsächlich in den Seminaren der Freizeit. Das sind dann Veranstaltungen, an denen man sich zum Beispiel über die Tabletteneinnahme schlaumacht. So sind auch Ärzt:innen, Physiotherapeut:innen oder Psycholog:innen dabei. Man kann sich überall und zu jedem Thema Rat holen. Jede Freizeit bringt neue Erfahrungen, die man über sich und andere sammelt. Ich würde sie jedem empfehlen, um Einblicke aus ganz anderen Perspektiven zu bekommen.

Es gibt Freizeiten mit und ohne Eltern. Nachdem wir in den sportlichen Aktivitäten etwas eingeschränkt sind, wenn die Eltern dabei sind und mehr Seminare haben, fand ich die Freizeiten ohne Eltern natürlich immer besser. Da gibt es dann Tage, an denen wir den halben Tag Fußball spielen und danach zum Shoppen in die Stadt gehen. Außerdem ist die Jugendfreizeit zwei Wochen länger und es sind mehr neue Jugendliche dabei. Man lernt jedes Mal einfach neue Menschen mit der gleichen Krankheit kennen. Bei der Familienreha kennt man sich irgendwann untereinander. Dort ist es eher selten, dass irgendwelche Leute in meinem Alter neu dazukommen.

Alle vier Wochen muss ich zum Arzt und die Blutwerte kontrollieren lassen. Ansonsten habe ich auch die normalen Termine bei Augen-, Haut- und Zahnarzt. Das gehört dazu, um das neue Leben mit einer Spenderniere zu leben und das muss man akzeptieren, man lebt ja gut. Der verantwortungsvolle Umgang und die Fürsorge sind das A und O. Wenn der Arzt sagt: „Nimm dreimal täglich deine Medikamente“, macht man das und nimmt sie eben nicht nur zweimal täglich.

Seit ich vor etwa einem Jahr in die Jugendherberge gefahren bin, kümmere ich mich selbst um meine Medikamente. Dabei habe ich viel über Eigenverantwortung und Dankbarkeit gelernt. Selbst Tabletten nehmen und auf die Zeiten achten, ist gar nicht so einfach; es ist schon ganz praktisch, wenn meine Mutter noch mit darauf schaut. Sie ist sehr genau und hält Zeiten bis auf drei Minuten ein. Bis letztes Jahr hat sie durch Striche auf meiner Wasserflasche präzise kontrolliert, wie viel ich trinke. Ich glaube, das ist sehr schwierig, nach 16 Jahren abzustellen. Auch heute hat sie mich gefragt: „Wie viel hast du getrunken?“ – mehrmals.

Mittlerweile darf ich aber auch ein Wochenende allein weg. Bisher nur im Umkreis, aber ich gewinne mehr und mehr Selbstständigkeit und Entscheidungsfreiheit. Mama steht dann nicht mehr um neun Uhr vor der Tür und fragt, ob ich meine Tabletten genommen habe, sondern schickt WhatsApp-Nachrichten. Es ist wichtig, immer im Hinterkopf zu behalten, dass man ein Transplantat hat und manche Dinge nicht darf – auch im Sinne von Feiern und Alkohol. Das ist nicht immer einfach und auch schon zweimal nach hinten losgegangen …

Bald ist meine Transitionsphase vom pädiatrischen Nephrologen zum Erwachsenen-Nephrologen. Da will ich gar nicht drüber nachdenken. Ich kenne einige Kinder, die große Schwierigkeiten mit der Transition hatten. Meinen Arzt kenne ich seit meiner Geburt und somit weiß er von jedem Vorfall, den meine Niere und ich in den letzten Jahren erlebt haben. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dann ab 18 allein zu einem anderen Arzt zu gehen, der mich nicht kennt und nicht so viel mit mir durchgemacht hat. Das wird eine große Umstellung, aber auch das wird schon klappen.“

R.s Mutter erzählt:

„Ich muss sagen, es ist schön, wieder mehr Freiheiten zu genießen und ein entspannteres Leben zu haben. Aber es kommen immer wieder neue Themen dazu. R. ist gerade in der Pubertät. Viele Transplantate gehen verloren, weil sich die Jugendlichen auflehnen und beginnen, die strikten Regeln, die nach einer Transplantation gelten, aufweichen. Es ist mir sehr wichtig, R. diese Sensibilität und die Botschaft vermittelt zu haben, dass nicht auf jedem Baum ein Transplantat wächst. Vielleicht lernen sie so, uns Eltern auch besser zu verstehen, warum man immer so engmaschig kontrolliert und sich Sorgen macht.

R. macht jetzt einen Motorradführerschein, womit ich zwar totunglücklich bin, aber letztendlich möchte ich ihn auch nicht anketten und ihm ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Ein wirklicher Balanceakt, der die eine oder andere Reiberei auslöst. Wir reden sehr viel – über Dinge, die gut laufen oder auch, wenn eine Situation einmal eskaliert ist. Auch wenn wir manchmal aneinander geraten, haben R. und ich ein starkes gegenseitiges Vertrauen entwickelt und arbeiten konstant daran, uns gegenseitig besser zu verstehen.

Auch mein Leben hatte sich tiefgreifend geändert. Berufliche und private Pläne, die ich vor R.s Geburt noch geschmiedet hatte, habe ich komplett über den Haufen geworfen. Ich habe zwar alles aufgegeben, jedoch einen nie dagewesenen Zusammenhalt und Zuversicht trotz aller Widrigkeiten gewonnen. Auch meine beruflichen Ziele habe ich letztendlich mit ein bisschen Verspätung erreicht. Wenn man sich ausmalt, was alles hätte passieren können, ist nichts davon eingetreten. Es ist in den letzten 17 Jahren eigentlich nur Positives passiert. Ich bin keine Medizinerin oder Ärztin; daher musste ich mir Vertrauen, Hoffnung und Disziplin aneignen, um R.s Transplantat und das Leben anzunehmen, das darauffolgt. Und es ist ein schönes Leben.“