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Bernd D.

Jahrgang 1970

Bankkaufmann

Lebertransplantation 2010

Meine Botschaft

„Ich denke, man muss sich ein bisschen auf die Medizin verlassen. Die Entwicklung ist so rasant. Was heute noch nicht machbar ist, wird in fünf oder zehn Jahren schon möglich sein. Deshalb sollte man, egal welche Krankheit diagnostiziert wird, positiv bleiben.“

Patient Bernd lächelt in die Kamera
Novartis

Mein Erfahrungsbericht

Meine Krankenvorgeschichte

„Meine Geschichte beginnt mit einer normalen Blutuntersuchung, bei der erhöhte Leberwerte festgestellt wurden. Damals war ich 17 Jahre alt und wollte den Wehrersatzdienst machen. Niemand wusste, warum diese Werte erhöht waren, weder im normalen Krankenhaus noch in den Unikliniken. Zwei Jahre später wurde erst festgestellt, dass ich ein Overlap-Syndrom einer Autoimmunhepatitis mit der primär sklerosierende Cholangitis (PSC) habe. Die PSC ist eine seltene Leberkrankheit, welche fortschreitend die Gallengänge zerstört.

Dann ging alles rasant. Ich habe lange Zeit im Krankenhaus mit zahlreichen Untersuchungen verbracht. Wirklich viele Ärzt:innen waren damals mit meiner Krankheit überfordert. Alle waren hilflos, weil keine Informationen über die Krankheit vorhanden waren. Damals hat man mir gesagt, es gäbe noch zwei Kindergartenkinder in England, die eine ähnliche Krankheit hätten. Ansonsten wäre ich weltweit mehr oder weniger einzigartig. Mit 18/20 hat man eigentlich sein ganzes Leben noch vor sich und wenn man dann gesagt bekommt: „Du hast nur noch 10 Jahre zu leben“, ist das sehr schwer.

Diese Zeit habe ich nur durch großartige familiäre Unterstützung überstanden. Ich bin mit meiner jetzigen Frau seit meinem 14. Lebensjahr zusammen und auch gemeinsam mit ihr durch meine Krankheit gegangen. Wir haben versucht, das Leben ganz normal weiter zu planen. Das heißt, wir haben früh geheiratet und uns nach vielen Untersuchungen dazu unterschieden, Nachwuchs zu bekommen.

Aufgrund seiner Komplexität wurde mein Fall oft den Student:innen in der Universität vorgestellt. Ich war dann ein Schulungsprojekt und die Student:innen sollten rausfinden, was ich habe. So bin ich zwar wenigstens mal zur Uni gekommen, aber die Situation war als junger Erwachsener wirklich nicht prickelnd. Andererseits waren diese Termine auch eine willkommene Abwechslung während der 1 ½ Jahre im Krankenhaus. Auch in der Klinik selbst habe ich jeden zweiten Tag zwischen 20 und 30 Student:innen an meinem Bett gehabt. Das war sehr … speziell.

Schlimm wurde es dann in der Zeit um 1994, als bei mir Krampfadern in der Speiseröhre festgestellt wurden. Innerhalb von neun Monaten mussten 70 bis 80 Krampfadern aus der Speiseröhre entfernt werden, immer im Monatsrhythmus. Das war während der ersten Schwangerschaft meiner Frau eine zeitlich sehr schwierige Überschneidung. Zumal mir auch gesagt wurde, dass das Platzen einer Krampfader schlimme Folgen haben könnte. Doch auch in dieser Phase haben wir immer versucht, das Leben normal weiterzuführen. Das heißt, zu arbeiten, unsere Familie aufzubauen und schöne Dinge zu genießen. Es gab zwar immer Auf und Abs, aber im Großen und Ganzen ging es.

Dann kam irgendwann dieser Zeitpunkt um das Jahr 2000: Ich wurde 30. Der Punkt, an dem es hieß: „Das ist so die Lebenserwartung, die du hast.“ Ich sagte: „Ich habe alles erreicht, was man mir gesagt hat. Alles was jetzt on top kommt, ist ein Bonus.“ An diesem Punkt habe ich beschlossen, für sieben Jahre nicht mehr zu einem Arzt oder einer Ärztin zu gehen. Weder zu Hausärzt:innen noch zu Zahnärzt:innen. Ich wollte niemanden mehr sehen. Meine Hausärztin hat mir noch meine Medikamente verschrieben, die ich bis dahin bekommen sollte, aber sonst besuchte ich niemanden mehr.

Das ist sehr fahrlässig, das ist mit bewusst. Man sollte das nicht machen. Aber für mich war das die Sache, die ich brauchte, um den Kopf wieder klarzubekommen. Nach mehreren unangenehmen Gesprächen mit meiner Frau und meinem Freundeskreis, habe ich mich 2007 dann wieder entschieden, mich durchchecken zu lassen. Dabei wechselte ich auch die Klinik und habe bemerkt, dass sich die Medizin in den letzten sieben Jahren wirklich weiterentwickelt hat. Gott sei Dank bin ich dann auch nachher wieder regelmäßig zu meinen Ärzt:innen gegangen – sogar gerne und war hochmotiviert, an der Krankheit weiterzuarbeiten.

Die Wartezeit

Über eine Transplantation hatte lange Zeit nie Jemand gesprochen. Überhaupt nie daran gedacht. Ich bin erst Ende Januar 2010 auf die Transplantationsliste gekommen, weil sich mein Zustand rapide verschlechterte und ich stationär in der Klinik aufgenommen wurde. Ich hatte dauerhafte Wassereinlagerungen im Bauch und extreme Gelbsucht. Bis zu 12 Liter Wasser mussten damals immer wieder abgepumpt werden. Es ging nicht mehr anders, der einzige Ausweg war eine Transplantation. Mitte Februar war es dann direkt so weit. Ich hatte also von Listung bis Transplantation nur ganze 2 ½ Wochen.

Die Operation

Als ich die Nachricht über das Organ bekam, war ich in der Klinik. Ich habe mir tagsüber noch den Rosenmontagsumzug im Fernsehen angeschaut und als ich abends auf der Toilette war, klopfte es auf einmal wild an der Tür. Man schrie nach mir. Ich reagierte erst gar nicht, kam dann raus und es hieß: „Wir haben ein Organ für Sie.“ Meine erste Reaktion darauf war noch etwas unbeteiligt: „Das ist schön, aber was bedeutet das?“

Diese 2 ½ Wochen Zeit, die ich hatte, um mich mit einer Transplantation zu befassen, waren natürlich sehr kurz.  Bevor ich auf die Liste gesetzt wurde, hatte ich ein langes Aufklärungsgespräch im Beisein meiner Frau und meiner Kinder, aber das ist in solchen Momenten nicht greifbar. Transplantationen gehen zwar immer wieder durch die Medien, aber was das tatsächlich bedeutet, das versteht man nicht. Im Vorfeld bekommt man alle Schritte genauestens erzählt, aber was man gesagt bekommt und was nachher tatsächlich ist, sind Unterschiede wie Tag und Nacht. Das kann man nicht vergleichen, zumindest nicht gedanklich umsetzen. Für mich war zu dem Zeitpunkt nur wichtig, dass es mir nicht gut ging und ich Hilfe brauche. Wenn die Transplantation die Lösung meiner Krankheit ist, dann nehme ich gerne das Organ.

Nach der Nachricht bin ich auf eine andere Station in ein anderes Zimmer gekommen; dort fanden dann die Vorbereitungen für die Transplantation statt. Anschließend wurde meine Frau informiert, die auch sofort in die Klinik kam. Nach den Vorbereitungen wurde ich in Ruhe gelassen, sodass ich mich gedanklich auf die OP einlassen konnte. Für mich persönlich war diese Zeit allerdings nicht so gut, weil ich sehr nervös wurde und mich sogar vor Aufregung übergeben habe.

Auf dem Weg bis zu den OP-Sälen begann dann aber eine gewisse Euphorie. Ich bin also laut singend in den OP gefahren. Ich kann mich daran erinnern, dass es eine große Uhr vor dem OP gab, die mich auch nach der OP noch lange im Traum verfolgt hat. Als Patient:in ist der Start einer solchen OP immer leichter als für die Angehörigen. Ich war froh, dass ich der Betroffene war und nicht eine Person aus meiner Familie. Dann ging es los.

Aus einer OP wurden allerdings zwei. Die erste dauerte sehr lange, über 12 Stunden. Während dieser OP stellten die Ärzt:innen an meiner Hauptschlagader eine Thrombose fest. Dort mussten wohl Umgehungen gebaut werden, was die eigentliche Lebertransplantation verzögerte. Vielleicht war das der Grund, warum diese Transplantation nicht funktioniert hat. Die zweite OP, die zehn Tage später anstand, war weitaus kürzer, etwa sieben/acht Stunden.

An die Zeit dazwischen kann ich mich kaum erinnern. Ich weiß, dass ich nach der ersten OP aufgewacht bin, denn ich kann mich an das schreckliche Gefühl des Tubus in meinem Hals erinnern. Ich hatte das Gefühl, nicht atmen zu können und habe auch einen Tisch neben dem Bett in Panik umgetreten. Nach und nach haben meine Organe versagt und ich war in einem Schlaf-/Wach-Dämmerzustand. Seit dieser Zeit kämpfe ich auch mit leichten Nierenproblemen. Man hat mir im Nachhinein gesagt, es war nur noch eine begrenzte Zeit, die ich als Restlebenserwartung hatte, bis das zweite Organ kam. Über 100 Organe, die nicht gepasst haben, mussten die Ärzt:innen in dieser Zeit ablehnen.

Die Angst vor dem Tubus hat mich dann auch vor der zweiten OP beherrscht. Diesmal haben sie ihn mir aber sehr schnell rausgeholt. Ich habe nach dem Aufwachen sofort bemerkt, dass das neue Organ viel besser funktioniert und dass es mir direkt besser geht. Ich muss aber auch sehr viel fantasiert haben. Viele Träume haben mich verfolgt. Teilweise habe ich auch meiner Frau Sachen erzählt, die totaler Humbug waren. Das Schwierigste in dieser Zeit war das dauerhafte Liegen auf dem Rücken. Rechts und links am Hals liegen die Netze, welche die Zugänge, die man gesetzt bekommen hat, stabilisieren. Ich habe neun Tage nur an die Decke gestarrt und konnte den Kopf nur ein klein bisschen drehen, um ein wenig aus dem Fenster zu schauen. Relativ gesehen, ging es nach der zweiten OP aber aufwärts.

Die ersten Monate

Ich lag noch etwa zwei Wochen nach der zweiten Operation auf der Intensivstation. Danach wurde ich für drei Wochen auf die Normalstation verlegt, bevor ich dann noch weitere drei Wochen in der Reha war. Ich habe von anderen Kolleg:innen gehört, bei denen es nach der Transplantation nicht so lange gedauert hat, aber ich hatte in der ersten Zeit extreme Wassereinlagerungen. Über Wochen habe ich daraufhin durch die Wassertabletten zwei Kilo pro Tag abgenommen, insgesamt fast 40 kg. Ich hatte auch mit Depressionen zu kämpfen, die medikamentös eingestellt werden mussten, aber das konnte ich nach der Reha glücklicherweise wieder abstellen.

Ich bin leider kein Reha-Mensch. Die Ärzt:innen wollten mich unbedingt liegend in die Reha bringen. Dagegen habe ich mich vehement gewehrt. Ich wollte nicht so im Krankentransporter hingefahren werden. Zwar hatte ich selbst in der Reha noch Probleme, im Sitzen zu essen, aber im Liegen fahren konnte ich mit meinem Stolz nicht vereinbaren. Ich kann mich erst dort an mein erstes Frühstück im Sitzen erinnern.

Für mich war es in der Reha auch sozial eher unangenehm, weil ich der einzige Transplantierte war. So war man die Sensation und durfte viel berichten. Die Wissbegierde war sehr hoch. Ich habe fast 24/7 mit Patient:innen gesprochen, die alle noch nicht operiert worden sind. Die haben meine Geschichte regelrecht aufgesogen. Als ich dann nach drei Wochen wieder gefahren bin, habe ich von allen (Patient:innen und Ärzt:innen) gehört, wie toll ich mich entwickelt hätte. Das hatte ich selbst zwar nicht bemerkt, aber die vielen kleinen Schritte machen über eine gewisse Zeit wohl doch einiges aus.

Daraus muss man dann Kraft schöpfen, positiv denken und einen langen Atem haben. Ich musste das Laufen wieder lernen – von Beginn an, vom ersten kleinen Schritt. Da muss der Kopf aber auch mitmachen. Das ist das A und O, aber damit hatte ich glücklicherweise keine Probleme. Es gab immer viel zu tun. Die ersten Monate nach einer solchen OP sind ein großes Wellenbad. Das gehört wohl einfach dazu. Mein Ziel war dabei immer, möglichst schnell nach Hause zu kommen. Dafür lag ich schon zu lange im Krankenhaus.

Das neue Leben

Das Erste, was ich zu Hause gemacht habe, weiß ich noch ganz genau. Mein Hobby vorher, nachher und bis heute ist der Fußball. Ich war immer aktiv im Verein, habe erst bis zur Diagnose selbst aktiv gespielt und dann nachher als Trainer, Jugend- und Abteilungsleiter gearbeitet. Auch meine Kinder spielen selbst. Am ersten Tag nachdem ich wieder zu Hause war, hatte mein jüngster Sohn ein Fußballspiel. Dort wurde ich hingefahren und wurde dann auf dem Fußballplatz mit einem großen Banner begrüßt, habe einen Sitzplatz direkt neben der Seitenlinie bekommen und durfte das Spiel anschauen.

Meine erste Reise habe ich nach Sylt unternommen, vier Monate, nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Erholen, gute Luft atmen, im Strandkorb im Schatten liegen und ganz entspannt das neue Leben genießen. Nach meiner ersten Flugreise, drei Jahre später, wurde ich wieder stationär ins Krankenhaus aufgenommen. Ich hatte mir eine Lungenentzündung eingefangen; wahrscheinlich aufgrund der Luft im Flugzeug. Zwei Wochen später konnte ich aber entlassen werden, da hatte ich sie auskuriert.

Das Schönste nach der Transplantation ist diese Ruhe, die ich habe. Mich kann nichts mehr aufregen. Dadurch genieße ich eigentlich alles; jeden Morgen, wenn ich aufstehe und jede Kleinigkeit, die ich unternehmen kann. Man lebt viel bewusster. Das versuche ich auch immer, meinem Umfeld bewusst zu machen: „Regt euch nicht auf, genießt einfach mal die Zeit, die Freizeit, die ihr habt. Diese Bonuszeit mit Menschen zu verbringen und Spaß zu haben oder einfach nur im Garten zu sitzen und die Sonne zu genießen.“ All diese Sachen mache ich viel intensiver. Definitiv.

Ich mache die ehrenamtliche Arbeit im Fußballverein auch weiterhin gerne. Wenn man nur zu Hause sitzt, ist mir das zu langweilig. So habe ich auch Kontakte zu allen Altersklassen und kann etwas Gutes tun. Wir wohnen in der Nähe eines sozialen Brennpunkts. Das ist fast schon Sozialarbeit. Die Jugendlichen von der Straße holen, macht mir einen Riesenspaß. Man ist selbst aktiv und muss ein bisschen raus.

Einmal im Quartal fahre ich ins Transplantationszentrum. Da habe ich meine Blutabnahmen und spreche mit der Ärztin den aktuellen Stand durch. Einmal im halben Jahr fahre ich zu meinem Nephrologen und zusätzlich habe ich die normalen Untersuchungen beim Augenarzt oder Zahnarzt. Zur Magenspiegelung muss ich alle drei Jahre, zur Darmspiegelung alle zwei Jahre. Ich habe also ein gewisses Paket, was ich abarbeite. Aber heute bin ich wieder an dem Punkt, an dem ich das gerne mache. Es gibt Schöneres, aber es ist okay. Ich weiß, es wird mir geholfen und es geht nur darum zu sehen, ob alles in Ordnung ist. Ich freue mich manchmal sogar, alle drei Monate meine Ärztin im Transplantationszentrum wieder zu sehen. Sie ist inzwischen eine Vertrauensperson geworden. Ich finde, das ist schon gar kein Arzt-Patienten-Verhältnis mehr, sondern viel vertrauter.

Ich beschäftige mich nach der Transplantation intensiv mit dem Thema Organspende. Immer dann, wenn die Diskussionen in den Medien auftauchen: „Wie gehen wir hier in Deutschland mit diesem Thema Transplantation und Spendenausweis um?“, muss ich an meinen Spender denken. Was war das wohl für ein Mensch? Obwohl ich nicht gläubig bin, stelle ich jedes Jahr am Transplantationstag eine Kerze für ihn auf. Denn an diesem Tag oder am Tag davor gibt es Menschen, die um ihn trauern. Um genau diese Person, die für mich ein Held ist. Ich habe unfassbaren Respekt davor, zu sagen: „Ich gebe meine Organe weiter.“ Manchmal wünschte ich mir, dass ich Kontakt mit den Angehörigen aufnehmen könnte, um Ihnen zu sagen, wie dankbar ich bin und was er für eine tolle Person war. Aus diesem Grund ist mir das Thema Organspende eine Herzensangelegenheit und ich versuche aufzuklären, wo ich kann – mit Erfolg. Alle in meinem Umkreis, Familie, Freund:innen und die Mitglieder aus dem Sportverein haben einen Ausweis.

Gesamtgesellschaftlich aber fehlt mir die Aufklärung über die Transplantation: Die große Angst ist, dass gesagt wird: „Bin ich wirklich tot, wenn mir die Organe entnommen werden?“ Wie das Prozedere mit der doppelten Bestätigung des Hirntods genau ist, ist der breiten Öffentlichkeit eigentlich gar nicht bekannt. Weder wird ein Mensch lebendig begraben noch werden Organe entnommen, wenn die Person „noch nicht ganz tot“ ist. Es ist noch einiges zu tun, bis wir an dem Punkt sind, dass die Fakten so weit durchgedrungen sind. Meine Geschichte ist eigentlich nichts Besonderes. Ich kenne sie, ich lebe mit ihr und ich habe mich mit ihr so gut arrangiert, dass ich manchmal sogar nicht über die Transplantation nachdenken muss.

Dafür bin ich auch über Facebook einer Gruppe der Lebertransplantierten beigetreten, mit über 500 Mitgliedern. Dort werden Fragen gestellt und es wird sich ausgetauscht. Irgendwo kann immer jemand helfen, mindestens mit seiner Erfahrung, denn oft treten Leute bei, die kurz vor einer Transplantation stehen. Ich lese viel mit, aber es ist sehr selten, dass ich etwas kommentiere. Wenn ich allerdings merke, dass Leute ähnliche Probleme wie ich haben, dann versuche ich, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Ich schreibe aber lieber privat an: „Hi, ich kann dir helfen!“

Die Fragen dabei sind querbeet. Angefangen von „Ich hab’ gerade ein schimmliges Brot gegessen. Muss ich mich jetzt im Transplantationszentrum melden?“ über „Darf ich mich tätowieren lassen?“  bis hin zu: „Bei mir ist die Erkrankung XYZ aufgetreten. Wer hat damit Erfahrung?“. So individuell wie die Fragen sind, werden sie auch gehandhabt. Es gibt Personen, die in der Gruppe kommentieren oder die, die dann privat anschreiben. So kann man komplett ohne Angst Fragen stellen, selbst ganz Banales. Soziale Medien sind eigentlich sehr schwierig, aber so etwas wie Hatespeech gibt es in dieser Gruppe nicht. Wer nicht antworten will, der antwortet eben nicht. Nur die, die meinen, irgendwo wirklich hilfreich sein zu können, die antworten. Auch Pressemitteilungen, Sonderveranstaltungen oder Treffen vor Ort in den Unikliniken werden in die Gruppe gestellt, damit alle das lesen können. Und wenn jemand sagt, dass er dorthin fährt, um teilzunehmen, dann kann ich mich da anmelden. Das ist tatsächlich mal etwas Positives.

Ich finde, diese Art Erfahrungsaustausch findet immer noch zu wenig statt. Menschen, die selbst etwas erlebt haben, schildern Ereignisse ganz anders. Wir können 500 Lebertransplantierte fragen und haben anschließend 500 verschiedene Geschichten. Aber jeder einzelne, der von seiner eigenen Transplantation erzählt, berichtet immer authentischer als einer, der die Situation vom Schreibtisch aus beobachtet. Jemand, der sagt: „Ich sitze da, überwache das und hier kommen die Zugänge hin“, erzählt etwas völlig anderes, als jemand, der davon erzählen kann, wie er die Zugänge gespürt hat – und das fehlt. Ich glaube, dass mich ein solcher Kontakt vor einer so schwierigen OP besser vorbereitet hätte. Im Theoretischen machen die Ärzte einen super Job, aber das was man dann erlebt, ist dann eben doch komplett anders.

Eines vielleicht noch zum Schluss: Man darf sich im Nachhinein nicht verrückt machen lassen. Es ist nicht so, dass man transplantiert ist und jetzt ist alles gut. Ich habe eine gewisse Reha-Zeit und dann starte ich wieder ins Leben und dieses Leben ist großartig. Aber es kann immer etwas passieren. Bei mir ist vor zwei Jahren Diabetes Typ 1 und letztes Jahr eine Vorstufe von Hautkrebs festgestellt worden. Dann musste ich neu eingestellt werden und mich mit neuen Dingen auseinandersetzen. Darauf sollte man vorbereitet sein und deshalb macht man Untersuchungen, deshalb schickt man dich zu Ärzt:innen.

Eine Transplantation ist nicht die Lösung alles Schlechten und danach geht es nur noch stetig bergauf. Das ist wie in einer Ehe. Auch an der Ehe muss man arbeiten und dranbleiben, auf mehr Dinge achten als vorher. Heute würde ich niemals mehr diesen Schritt gehen und sagen, ich geh nicht zu Ärzt:innen, wie ich das vor der Transplantation gemacht habe. Ich bin mittlerweile dankbar für jeden Arztbesuch, den ich machen kann, weil ich weiß, die helfen mir und sorgen dafür, dass mir möglichst lange dieses Level, was ich jetzt habe, erhalten bleibt. Dieses Level möchte ich genießen, es stehen ja noch einige Saisons aus …“