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Sebastian F.

Jahrgang 1982

Früher: Immobilienmakler/heute: Klettertrainer

Herztransplantation 2015

Meine Botschaft

„Den anfänglich schon schweren Weg bis zur Transplantation durchhalten. Holen Sie sich viel Unterstützung bei Freunden und der Familie, sodass man diese Zeit schafft. Es lohnt sich hinterher.“

Patient Sebastian beim Klettern
Novartis

Mein Erfahrungsbericht

Die Wartezeit

„Mit 14 oder 15 Jahren hatte ich mir eine Herzmuskelentzündung eingefangen. Den genauen Grund dafür weiß man nicht, aber die Ärzte gehen davon aus, dass die Entzündung von einer Virusinfektion stammte, die ich mir im Urlaub in Tunesien eingefangen hatte. Damals hatte ich nur einen Magen-Darm-Infekt, aber ein halbes Jahr später war es so, dass ich von ungefähr 100 % Leistungsfähigkeit auf 0 abgesunken war. Ich konnte nicht mal mehr 200 Meter am Stück gehen, ohne Atemnot zu haben.

Daraufhin kam ich für drei Monate ins Krankenhaus. Interessanterweise sind nach mir weitere zwölf Patienten ins gleiche Krankenhaus gekommen, die alle den gleichen Verlauf der Krankheit hatten und vorher auch in Tunesien waren. Daher gehen die Ärzte davon aus, dass es ein Virus war. Ich wusste damals schon, dass ich ein neues Herz brauchte und man mich transplantieren müsste. Die Ärzte hatten aber entschieden, dass ich erstmal nicht auf die Warteliste käme, weil sich mein Zustand damals ganz langsam verbessert hatte, bis ich wieder bei einer Herzleistung von etwa 25 % war.

Persönlich war das eine schwierige Zeit. Aus Sicherheitsgründen, dass ich mich nicht noch einmal irgendwo infizierte, durfte ich nicht mehr in die Schule gehen. Während der letzten zwei Schuljahre kamen zwar ab und zu Lehrer zu mir nach Hause, aber den Großteil musste ich mir selbst beibringen. Bis ich krank wurde, war ich eigentlich ein mäßiger Schüler und sehr unmotiviert. Durch meine Krankheitsgeschichte und die damit verbundene Verantwortung habe ich dann aber einen Schalter umgelegt, sodass ich als Zweitbester der Klasse den Abschluss machte.

Meinen Wunschberuf, Tischler, konnte ich aufgrund meiner Erkrankung nicht beginnen. Die Maklerausbildung war dann die zweite Option nach einer Beratung im Bildungszentrum. Auch in meiner Freizeit hatte ich gelernt mit meiner verringerten Herzleistung zu leben. Ich war früher ein recht unsportliches Kind und fand alles, was mit Bewegung zu tun hatte, schrecklich. In der Berufsschule kam ich allerdings mit dem Klettern in Berührung. Das wollte ich unbedingt machen und dafür habe ich hart gearbeitet. Innerhalb von zehn Wochen habe ich 30 Kilo abgenommen.

Dieses starke Abnehmen hatte auch große Vorteile für mein geschwächtes Herz. Obwohl ich weiterhin nur 25 %, in besten Fällen 28 %, Herzleistung hatte, konnte ich schwierige Grade klettern und bis auf 3.000 Meter hohe Berge laufen. Jeder Arzt hatte mir vorhergesagt: „Das geht nicht. Das können Sie wegen Ihrer Herzleistung nicht machen.“ Nun ja, aber ich stand eben oben – und das nicht als Letzter der Gruppe.

Im Winter 2013/2014 hatte ich mir beim Gleitschirmfliegen eine schwere Angina pectoris eingefangen, die sich wieder auf mein Herz gelegt hat. Daraufhin bin ich zusammengebrochen und es ging mir immer schlechter. Im März bin ich dann ins Krankenhaus gekommen und wurde nach ein paar Untersuchungen direkt ins Herzzentrum verlegt.

Innerhalb von zwei Tagen haben mich die Ärzte hochdringlich auf die Transplantationsliste gesetzt und mich im Herzzentrum behalten.

Die Anfangszeit im Krankenhaus war sehr schwer. In dieser Zeit, den ersten vier bis fünf Monaten vielleicht, habe ich nur negative Geschichten über Transplantationen mitbekommen. Entweder haben die Patienten die Wartezeit nicht überstanden oder sind transplantiert worden und dann trotzdem vier Wochen später verstorben. Ich habe in der Anfangszeit oft gedacht: „Was machst du hier noch, wenn das sowieso immer nur schiefgeht? Ist es nicht besser, nach Hause zu gehen und noch fünf Mal den Sonnenaufgang zu sehen, als deine letzten Tage hier in diesem Krankenhaus zu verbringen?“

Meine Familie, Freunde und eine Selbsthilfegruppe im Krankenhaus haben mir geholfen, trotzdem weiterzukämpfen. Wenige Wochen später kam ein weiterer junger Mann zu mir ins Zimmer, damals etwa 24 Jahre alt. Dafür, dass wir im Krankenhaus waren, haben uns die Ärzte und Schwestern auch einigen Blödsinn durchgehen lassen. Mit ihm halte ich bis heute noch eine gute Freundschaft.

Eine Transplantations-Selbsthilfegruppe, die monatlich Gesprächsrunden angeboten hatte, machte die Zeit im Krankenhaus auch erträglicher. Bei ihnen habe ich erstens positive Erlebnisse zur Transplantation erfahren und konnte, zweitens, meine dringlichsten Fragen loswerden: „Wie muss man sich am Anfang verhalten? Wie wird es besser über die Zeit? Wie viele Medikamente muss man nehmen?“

Die Operation

„Meine Transplantation war dann im Februar 2015, mit 32. Insgesamt stand ich ein Jahr hochdringlich auf der Warteliste. Genau zum Schichtwechsel der Schwestern um 22 Uhr kam die Nachricht, dass ein Herz für mich gefunden worden wäre. Das ganze Schwesternpersonal kam ins Zimmer und meinte: „Sebastian, es geht los.“  Ich muss sehr ungläubig geschaut haben. Danach war für zehn Minuten totale Aufregung im Zimmer, und endlich konnte ich meine Eltern und meine Schwester anrufen.

Nach den beiden Anrufen habe ich mich entspannt und mir noch etwas Schönes zu trinken aufgemacht. Ich habe damals wie heute volles Vertrauen in die Ärzte: Jetzt machen die ihre Arbeit und danach geht es weiter. Nachdem ich mich von allen verabschiedet hatte, bin ich dann ins Transplantationszentrum gefahren. Im Zentrum habe ich noch meine Eltern und meine Schwester getroffen, die sehr aufgeregt waren. Sie konnten damals überhaupt nicht verstehen, dass ich nicht aufgeregt war, sondern wirklich sehr entspannt auf die Transplantation gewartet und normal mit ihnen geredet habe. Um fünf Uhr morgens wurde ich dann operiert.

Das Aufwachen zog sich dann über zwei Tage. Die Ärzte hätten öfters versucht mich aufzuwecken, haben mir meine Eltern erzählt, aber das war nicht so einfach, weil sich mein Körper dagegen gesträubt hatte. Am zweiten Tag, beim dritten Versuch, ging es dann. Ich habe wenig gesagt und nur verschwommen gesehen, als ich aufwachte. Ich war nur froh, die Stimmen meiner Elternund meiner Schwerster zu hören.

Einen Tag später war das aber schon anders. Ohne Beatmung konnte ich das erste Mal im Bett sitzen und besser geradeaus denken. Ich war überwältigt, zu fühlen, wie das neue Herz einfach schlägt. Mein altes Herz war so schwach, dass ich das früher nie bewusst erlebt hatte. Und das neue Herz hat sofort sehr kräftig geschlagen, war einfach da und arbeitete. Da ich anfangs auf einer speziellen Luft-Wasser-Matratze lag, hat mein ganzer Körper wortwörtlich im Herzschlag mitgewackelt.

Einen weiteren Tag später konnte ich schon über die Station laufen. Das war zwar nicht viel, aber für mich hat sich das einfach großartig angefühlt. Vor allem, die Operation soweit gut überstanden zu haben.“

Die ersten Monate

„Nach der Operation war ich noch lange im Krankenhaus, ca. neun Wochen. Anfangs hieß es, nach drei Wochen ist man durch und geht zur Reha, aber meine Nieren hatten nach der Transplantation ihren Dienst versagt. Die Ärzte haben lange überlegt, ob ich dialysepflichtig werde, aber dann hatte ich Glück und sie fingen wieder langsam an zu arbeiten.

Durch das eine Jahr im Krankenhaus hatte ich kräftemäßig stark abgebaut. Zusätzlich hatte ich durch die nicht-funktionierenden Nieren sehr viel Wasser im Körper eingelagert. Um das zu kompensieren und wieder aktiver zu werden, hatte ich hart gearbeitet. Nach den zwei Monaten in der Klinik bin ich direkt für fünf Wochen in die Reha gekommen. Nachdem die Reha-Klinik recht nah an meinem Wohnort lag, konnte ich mich zwischendrin auch abmelden und „ausbrechen“. Wenn ich sagte: „Ich will ein paar Klamotten holen“, bin ich eher ins Kino gegangen. Ich wollte einfach irgendwas anderes erleben.

Insgesamt bin ich mit der neuen Situation sehr gut zurechtgekommen. Ich habe mein neues Herz sofort als MEIN neues Herz akzeptiert. Natürlich denkt man ab und zu über den Spender und auch über dessen Familie und Angehörige nach, aber trotzdem hatte ich keine Probleme – auch dank der psychotherapeutischen Hilfe im Krankenhaus.

Nach der Reha wollte ich meine eigenen vier Wände wiederhaben und habe viel Kontakt zu alten Freunden gesucht. Es war sehr komisch und schwierig für mich zu sehen, wie sich natürlich alles ringsum weiterentwickelt hatte. Damals waren wir eine riesige Klettergruppe von 13 oder 15 Leuten. Jede Woche waren wir mehrmals in der Kletterhalle oder an den Felsen. Als ich dieses Jahr im Krankenhaus war, passierte so viel. Jeder hatte plötzlich irgendwelche Partner oder Partnerinnen. Zwei hatten sogar auf einmal Kinder. Damit haben sich dann natürlich andere Prioritäten und Interessen ergeben. Zu dieser Zeit fühlte ich mich sehr allein.

Ich habe mir dann andere Aufgaben gesucht. Ich bin nach Sachsen gezogen, weil dann die Sächsische Schweiz direkt vor der Haustür liegt und ich so mehr zum Klettern gehen kann. Dort wollte ich mir auch einen komplett neuen Freundeskreis aufbauen. Ohne die Ansatzpunkte wie Studium oder Arbeit ist es allerdings schwierig, neue Leute kennenzulernen. Auch hatte ich Geldsorgen und musste mir die Erwerbsminderungsrente mit einem Anwalt einklagen. Aber ich habe mich weiter durchgekämpft und alles hat früher oder später funktioniert.

Fünf Monate nach der Transplantation war ich in Dänemark Gleitschirmfliegen. Einen Monat später habe ich eine Höhenwanderung in Österreich gemacht. Die tausend Höhenmeter waren sehr anstrengend, aber ich habe es geschafft. Und dann stand ich wieder oben in den Bergen und war da, wo ich am liebsten war.

In der Anfangszeit war ich noch monatlich im Transplantationszentrum. Dann wurden die Intervalle aber immer länger und mittlerweile werde ich halbjährlich kontrolliert. Bei meinem Hausarzt bin ich trotzdem alle 14 Tage zum Blutabnehmen, um die Spiegelkontrolle zu machen und um die Medikamente dementsprechend anzupassen. Die Wassereinlagerungen waren nach einem halben/dreiviertel Jahr größtenteils verschwunden.“

Das neue Leben

„In der neuen Stadt bin ich dem Bergsteigerbund beigetreten. Jeder Verein sucht händeringend Unterstützung und Jugendleiter, die Trainings anbieten können. Dafür hatte ich die Ausbildungen schon absolviert, sodass ich direkt durchstarten konnte. Ich bin dann Stück für Stück reingekommen und hatte erst eine bis mittlerweile drei Klettergruppen zu betreuen. Für mich sind Klettern und die Natur meine Leidenschaften, die mir viel Kraft geben. Das möchte ich weitervermitteln. In den letzten Monaten habe ich meinen Trainerschein nachgeholt, sodass ich jetzt auch Erwachsenengruppen ausbilden kann. Damit konnte ich noch mehr Kurse übernehmen und habe mich in weiteren Arbeitsgruppen eingeklinkt, die sich zum Beispiel um Sicherungsbelange im Gebirge kümmern. So habe ich viele neue Kontakte und nette Leute kennengelernt.

Wegen Corona habe ich mich allerdings komplett rausgezogen. Das geht für mich nicht. Auch wenn manche vielleicht meinen, mit Abstand und Maske wäre das kein Problem, ist für mich persönlich das Risiko zu groß, vor allem nach der Transplantation.

Ich halte es für wichtig, sich persönliche und gesellschaftliche Aufgaben zu suchen und auch im Nachhinein einen Sinn zu finden. Man steht danach finanziell nicht sehr gut da, aber es reicht, um diese Zeit gut für sich nutzen und vorankommen. Zum Beispiel habe ich mir zum Ziel gesetzt, alle Gipfel der sächsischen Schweiz zu besteigen. Von den 1.135 Stück habe ich immerhin schon 724 bestiegen.

Meine ehrenamtliche Arbeit ist für mich persönlich die Art, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Die Gesellschaft hat sehr, sehr viel für mich getan. Hätte ich persönlich meine Behandlungen finanziell stemmen müssen, dann wäre ich heute nicht mehr. Das alles hätte ich nicht bezahlen können, trotz dass ich vor der Transplantation 12 Jahre gearbeitet und meine Beiträge gezahlt hatte.

Ich wollte auch der Selbsthilfegruppe aus dem Transplantationszentrum, die mich so sehr unterstützt hat, einen Teil zurückgeben und habe mich ca. zweieinhalb Jahre um die Finanzen gekümmert. Die Leute aus der Gruppe sagten immer: „Im Nachhinein wirst du auf die Zeit zurückblicken und sie als nicht so schlimm und so lange ansehen.“ Das kann man als Wartender nicht verstehen.

Heute, wenn ich zurückdenke, ist dieses Jahr tatsächlich nur ein kurzer Moment. Die Leute hatten recht. Das neue Leben macht so viel Freude, dass diese schwierige Zeit gut verarbeitet werden kann und im Nachhinein nicht so tragisch ist. Ich habe noch viel vor und starte in den nächsten Tagen mit Gipfel 725.“