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Franziska Liebhardt

Jahrgang 1982

Kinderphysiotherapeutin, ehemalige Paralympics-Athletin, Speakerin

Lungentransplantation 2009

Nierentransplantation 2012

Lungentransplantation 2020

Meine Botschaft

„Ich sage immer: Man darf niemals aufgeben. Man muss den Blick immer nach vorne richten, auch wenn es Rückschläge gibt. Es lohnt sich immer, bis zur Transplantation zu kämpfen, weil sich die Lebensqualität danach erheblich verbessert.“

Patientin Franziska sitzt auf einer Parkbank und lacht in die Kamera
Novartis

Mein Erfahrungsbericht

Meine Krankenvorgeschichte

„Als Grunderkrankung habe ich eine systemische Autoimmunerkrankung – eine Fehlfunktion des Immunsystems, die sich im ganzen Körper auswirkt. Diese Krankheit hat dann schließlich zu einer Lungenfibrose geführt. Die Diagnose der Grunderkrankung wurde 2005 gestellt und etwa zwei Jahre später fiel auf, dass die Lunge mitbeteiligt war.

Am Anfang äußerte sich die Krankheit nur durch Hautveränderungen. Meine Haut verhärtete sich, bis sie sich wie Beton anfühlte; erst an den Beinen, dann an den Armen und schließlich auch im Gesicht. Zu Beginn wussten die Ärzt:innen nicht genau, was es ist. Irgendwann habe ich dann beim Volleyball-Training gemerkt, dass ich schlechter Luft bekomme. Da habe ich mir allerdings auch noch nicht viel dabei gedacht, sondern es auf meine schlechte Ausdauer geschoben. Bis dann im Rahmen eines Lungen-CTs 2007 die Lungenfibrose auffiel, und man sozusagen rückwirkend gemerkt hat, dass die Grunderkrankung dafür verantwortlich ist.

Zu dem Zeitpunkt hat die Krankheit mein Sozialleben noch gar nicht groß beeinflusst. Allerdings ging es dann bei mir relativ schnell bergab mit der Lunge. Irgendwann konnte ich keine Treppen mehr steigen oder Dinge tragen, wenn ich auf der Ebene gegangen bin. Wenig später konnte ich auch das nicht mehr, bis ich schließlich nur noch im Bett gelegen bin. Ganz zum Schluss konnte ich nicht einmal mehr selbst essen.

Mein Leben wurde so stetig mehr eingeschränkt; Lungenfunktion = Lebensqualität. Ich musste mir immer überlegen, wie der Sauerstofftank, den ich schließlich brauchte, hält, um diese oder jene Aktivität zu tun – und so ein Tank hat in der Regel nicht länger als vier bis sechs Stunden. Irgendwann war es dann so, dass meine Freund:innen zu mir nach Hause kamen. So konnte man sich trotzdem treffen. Aber ganz zum Ende, 2008, ging auch das nicht mehr gut, weil ich mich nicht mehr unterhalten konnte. Jeder Satz war anstrengend, weil ich nach jedem einzelnen Wort Luft holen musste.

Die Wartezeit

Dann kam das Thema „Transplantation“ auf. Alle bisherigen Therapieversuche hatten nichts gebracht, und so wurde ich Ende 2008 auf die Transplantationsliste gesetzt. Bei einer Lungenfibrose kann es sich auch mal 20 Jahre hinziehen, bis die Lunge ganz kaputt ist. Bei mir ging es allerdings sehr schnell bergab, deswegen war dieser Schritt auch schnell notwendig.

Am Anfang habe ich mich mit dem Gedanken an eine Transplantation sehr schwergetan. Die Ärzt:innen haben mich ein wenig dazu gedrängt, weil sich die Lunge so schnell verschlechtert hat und man mir sagte, ich müsse mich gleich entscheiden, weil sonst vielleicht die Zeit nicht reicht. Ich habe trotzdem erst einmal versucht, mich zu informieren und mit Leuten zu sprechen, um mir selbst emotional klar zu werden: ‚Ist das überhaupt der Weg, den ich gehen will oder gibt es vielleicht andere Möglichkeiten?‘ Ich habe zum Beispiel sogar mit meinem Hausarzt über palliativmedizinische Wege nachgedacht, um mir alle Optionen anzuhören.

Ich hatte eine Art Schuldgefühl, auf ein Spenderorgan zu hoffen, denn das bedeutet ja, dass man drauf hofft, dass ein anderer Mensch ums Leben kommt. Ist das nicht egoistisch irgendwie? Ich hatte wirklich ein paar komische Gedanken, habe aber dann auch Hilfe von Seelsorger:innen und Psycholog:innen bekommen. Letztendlich habe ich gesagt: ‚Ich will aber eigentlich auch nicht sterben‘ und das war dann der Punkt, warum ich mich zur Transplantation entschlossen habe.

Meine Familie und Freund:innen waren wahnsinnig wichtig in diesem Moment. Sie haben mir die Augen geöffnet. Wenn ich sagte: „Vielleicht ist es besser in Frieden zu sterben, als jetzt all sowas auf sich zu nehmen, wenn die Spenderlunge nur 5 Jahre funktioniert“, antworteten sie Dinge wie: „Spinnst du eigentlich? Mit Anfang 20 gibt es kein Sterben in Frieden. Red dir das nicht schön!“ Heute bin ich da natürlich sehr froh darüber, denn wenn ich diesen Druck von Freundes- und Familienseite nicht gehabt hätte, weiß ich nicht, ob ich mich dann nicht vielleicht doch anders entscheiden hätte.

Als ich dann gelistet wurde, bin ich ziemlich schnell auf der Intensivstation am Beatmungsgerät angeschlossen worden. Damit war das direkt hochdringlich. So habe ich nur ungefähr sechs Wochen auf die Transplantation gewartet. Durch eine Infektion über einen von diesen zentralen Kathetern, die man da so liegen hat, war ich ins künstliche Koma gelegt worden. Mein Zustand war kritisch, deswegen habe ich den Anruf leider gar nicht erlebt. Eine Krankenpflegerin erzählte mir später, dass sie mich mitsamt dem Intensivbett dann in den OP geschoben haben.

Die Operation

Die erste Zeit nach der Operation war ganz interessant. Ich hatte ein sogenanntes Durchgangssyndrom. Das beschreibt den entzugsartigen Zustand, wenn nach einer komatösen Phase die Medikamente abgesetzt werden, die einen im Koma halten. Meine zeitliche Orientierung war komplett weg. Ich wusste nicht, wer ich bin, wo ich bin oder welcher Tag, welche Uhrzeit, welche Jahreszeit gerade war. Es gab Situationen, in denen Schneewittchen und die sieben Zwerge durch mein Zimmer gelaufen sind und an meinem Bett standen.

In meinem Fall war das ganz witzig, aber es gibt auch Patient:innen, die richtige Horrorvisionen haben in dieser Phase. Glücklicherweise hat das Durchgangssyndrom nur etwas zwei bis drei Tage angedauert, dann bin ich klarer geworden und habe auch verstanden: „Okay, ich bin jetzt transplantiert.“

Während der künstlichen Beatmung verkümmert die Atemmuskulatur ein bisschen. Die musste ich erst wieder auftrainieren, obwohl die Lunge schon wieder gut funktionierte. Es hat noch ungefähr eineinhalb bis zwei Wochen gedauert, bis ich dann Schritt für Schritt vom Beatmungsgerät abgewöhnt worden war. Aber es ging mir schon besser, ich bekam gut Luft. Das Beatmungsgerät hat nur hin und wieder ein bisschen geholfen, wenn die Kraft zum Atmen nicht ganz gereicht hat. Ich habe immer auf den Monitor geguckt, der neben meinem Bett hing, und habe mich über die Sättigung von 100 % oder 95 % gefreut. Das war der absolute Traum. Ich habe zum Teil Rotz und Wasser geheult vor Freude und Rührung.

Nach der Transplantation habe ich mich relativ leichtgetan, das neue Organ anzunehmen. Ich hatte nie das Gefühl, dass das irgendwie ein Fremdkörper ist oder so etwas in der Art. Ich habe es immer als großes Geschenk betrachtet. Ich war eher damit beschäftigt, mit meinem eigenen Körper wieder klarzukommen und auf die Signale zu hören, ob mir etwas fehlt oder nicht. Es fühlte sich plötzlich alles anders an.

Die ersten Monate

Nach der OP war ich insgesamt noch drei Wochen im Transplantationszentrum und dann noch einmal drei Wochen in der Reha. Danach bin ich quietschvergnügt nach Hause. Ich war wirklich nach sechs Wochen fit wie ein Turnschuh, was natürlich erstaunlich war nach dieser Vorgeschichte. Man hat mir vorher gesagt: Für jeden Tag auf der Intensivstation am Beatmungsgerät muss man hinterher ungefähr eine Woche rechnen, bis man wieder auf die Beine kommt. Also sprich: Fünf Tage beatmet, fünf Wochen hinterher braucht man. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie viele Tage ich tatsächlich beatmet war, aber ich bin bereits zu Fuß aus dem Transplantationszentrum in die Reha gegangen; und nach der Reha war ich dann eigentlich wieder richtig fit.

Als ich wieder nach Hause kam, habe ich erst einmal genossen, wieder leben zu dürfen. Ich habe einfach Spaziergänge gemacht, die Umgebung erkundet und mir keine Gedanken machen müssen, was man kann oder ob da Treppen kommen. Es waren ganz einfache Dinge, die ich wie neu erlebt habe, zum Beispiel in den Supermarkt gehen und sich selbst etwas zu essen aussuchen. Der normale Alltag war für mich etwas ganz Besonderes.

Ich wusste nicht, ob ich überhaupt noch einmal nach Hause komme. Es war auch alles vorbereitet, falls das eben nicht mehr funktioniert. Das war natürlich schräg, weil noch vieles in der Wohnung herumlag, was man damals so bereitgelegt hatte, falls ich eben nicht mehr nach Hause komme. Es waren insgesamt so viele Emotionen und wenn man, wie ich, nah am Wasser gebaut ist, fängt man wegen jedem Ding, sofort an zu heulen.

Vor allem für meine Familie, aber auch für meine engen Freund:innen war diese Zeit viel schwieriger war als für mich selbst. Wenn man selbst die Betroffene ist, ist es immer noch einmal leichter. Also klar, man hat natürlich selbst die Schmerzen und die Atemnot, aber danebenzustehen und einfach nichts machen zu können, ist, so glaube ich, sehr schlimm. Besonders für meine Geschwister war das eine Riesenbelastung. Sie sind beide Ärztinnen und auch sie konnten nur hoffen und gucken.

Ich denke immer mal wieder über meine Spender:in nach, auch jetzt noch; vor allem, so merk ich, im Alltag, wenn es mir wirklich gut geht oder wenn ich eine schöne Situation habe. Ich gehe zum Beispiel gerne in die Berge und wenn ich dann auf einem Gipfel stehe und eine schöne Aussicht genieße, habe ich oft das Gefühl, da steht noch jemand neben mir. Da ist noch jemand, dem ich es verdanke, dass ich jetzt hier oben stehe und diesen Moment genießen kann. Auch wenn man die Person nicht kennt; das ist eine ganz interessante, emotionale Verbindung.

Ich hatte mit der medizinischen Umstellung keine Probleme. Viele Menschen empfinden es als große Einschränkung, dass man viele Tabletten nehmen muss, aber ich sage immer: Die Tabletten sind meine Lebensretter.“ Wenn es diese Tabletten nicht gäbe, dann würde das alles nicht funktionieren. Dann könnte man Organe verpflanzen, wie man wollte, aber wenn es keine Immunsuppression gäbe, würde das nicht funktionieren. Deswegen sehe ich das auch absolut nicht negativ oder als Einschränkung, sondern eher im Gegenteil: Was bin ich froh, dass wir das ganze Zeug haben, denn damit wird mir eine gute Lebensqualität ermöglicht. Auch die vielen Arzttermine, die einem manchmal auf den Keks gehen, sind doch eigentlich etwas Gutes. Jemand kümmert sich um mich.

Das neue Leben

Sechs Monate nach der Transplantation ging ich wieder arbeiten. Ich hätte gern auch schon ein bisschen früher angefangen, weil ich mich zu Hause einfach gelangweilt hatte. Mit 27/28 hatte ich auch langfristig keine große Lust, den ganzen Tag zu Hause zu sitzen. Insgesamt war das Transplantationszentrum nicht begeistert von meinem Plan. Da ich vornehmlich Physiotherapeutin für Kinder bin, hatten die Ärzt:innen natürlich Angst, dass ich mir eine Infektion einfange. Es gab eine große Diskussion mit dem Zentrum, die mich eigentlich berenten wollten, bis wir irgendwann eine Einigung gefunden haben. Die Abmachung mit dem Transplantationszentrum war, dass ich wieder anfangen durfte und sechs Monate engmaschig kontrolliert werde, ob sich irgendwelche Anzeichen einer Verschlechterung bemerkbar machen.

Letztendlich war es dann so, dass einfach gar nichts passiert ist. Ich konnte auf die sehr gute Unterstützung meines Chefs von damals zählen, der zum Beispiel drauf geachtet hat, dass Kinder mit potenziell multiresistenten und damit gefährlichen Keimen nicht bei mir landeten. So war das Transplantationszentrum auch einverstanden.

Nach kurzer Zeit habe ich wieder mit dem Sport angefangen. Das war für mich einfach ein Teil meines Lebens und wichtig, also bin ich erst einmal walken gegangen oder habe ein bisschen Gymnastik/Yoga gemacht. Nach drei Monaten in etwa habe ich gedacht: „Ich hätte eigentlich wieder Lust, in einen Verein zu gehen.“ So habe ich mir dann hier in meiner Stadt einen kleinen Verein gesucht, bei dem es eine Freizeitsportgruppe gab – zufälligerweise von der Leichtathletikabteilung. Dort habe ich dann einmal die Woche ein bisschen Gymnastik, ein bisschen Leichtathletik oder Ballspiele gemacht – einfach nach Lust und Laune bunt gemischt. Das war mein Wiedereinstieg in den Vereinssport.

Dort habe ich meinen späteren Kugelstoßtrainer kennengelernt. Vielleicht war ich einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort, denn wir haben uns zufällig getroffen und beide gesagt: „Eigentlich hätten wir Lust, öfter zu trainieren.“ So haben wir begonnen, zweimal die Woche zu trainieren. Erst Sprint, Weitsprung und Kugelstoßen und irgendwann haben wir uns auf Kugelstoßen und Weitsprung fokussiert. Dann waren es drei Trainingseinheiten die Woche, bald vier, fünf und sechs. Das ging immer mehr in Richtung Leistungssport, ohne dass wir das bewusst gewollt hätten. Es hat sich zum Selbstläufer entwickelt. Irgendwann habe ich dann eine Norm für den Parasport erfüllt.

Meine Nierentransplantation

Allerdings war da die Sache mit der Niere und ein Schlaganfall dazwischen. Also meine Geschichte nach der Lungentransplantation ist etwas komplex.

Bis 2011 ging es mir wirklich großartig. Aber dann war ich irgendwann nicht mehr gut belastbar oder dauernd müde und abgeschlagen. Ich hatte auch viel mit Übelkeit zu kämpfen. Das sind klassische Symptome, wenn der Körper viel Gift in sich hat. Bei den darauffolgenden Untersuchungen hat man festgestellt, dass meine Nieren immer mehr unter meiner Grunderkrankung, der Lungentransplantation selbst, aber eben auch durch die Medikamente, die nephrotoxisch sind, gelitten haben. Meine Nierenfunktion hat so schnell nachgelassen, sodass ich auch bald an die Dialyse musste.

Mein Vater hat nicht lange gezögert und wollte mir daraufhin eine Niere spenden. Das war für ihn überhaupt keine Frage, das kam sofort. Nur wollte ich das erst nicht. Ich hatte einfach Angst, dass ihm etwas passiert. Ich kann auch nicht gut damit leben, wenn ich zwar wieder eine funktionierende Niere habe, aber er dann nachher an der Dialyse hängt oder im schlimmsten Fall tot ist. Ich wollte auf eine postmortale Spende warten. Meine naive Idee war, dass ich aufgrund der Lungentransplantation höher gelistet sein müsste, aber das ist nicht so. Meine Nephrolog:innen haben acht Jahre Wartelistenzeit geschätzt, worauf meine Pulmolog:innen meinten, dass das die transplantierte Lunge nicht aushält.

Beide Abteilungen haben mir dringend empfohlen, falls es ein Organ aus der Familie gäbe, das anzunehmen, um die Lunge nicht zu gefährden. Daraufhin habe ich für mich beschlossen, die Nierenspende anzunehmen. Allerdings wollte ich davor mit meiner Familie über alle Risiken der Transplantation reden, über wirklich ALLE. Das stellte sich als sehr schwierig heraus, weil niemand darüber sprechen wollte. Mein Vater hat immer gesagt: „Wir müssen da nicht drüber sprechen, denn es wird nichts passieren.“ Ich habe immer geantwortet: „Ich lasse es nur machen, wenn wir uns da wenigstens einmal offen drüber unterhalten haben, was sein könnte.“ Irgendwann haben wir es tatsächlich geschafft, aber es war ein längerer Kampf. Letztendlich ist nichts passiert, Gott sei Dank, aber das war für mich einfach unglaublich wichtig, um ein gemeinsames Verständnis zu haben.

Danach wurde abgeklärt, ob alle immunologischen Parameter bei meinem Vater und mir übereinstimmten und die Voraussetzungen passten dann auch. Wir waren beide ein bisschen naiv und wollten erst abwarten bis meine Nieren ihre Funktion komplett einstellen und dann einen OP-Termin ausmachen. Aber eine Genehmigung für eine Lebensspende ist ein Riesenaufwand. Ärzt:innen dürfen eigentlich keine gesunde Personen operieren. Mein Vater musste umfangreich untersucht werden, wir brauchten Gutachten von Psycholog:innen und das „OK“ des Amtsgerichts,  und das alles dauert nun mal ewig – um genau zu sein sechs Monate. Während die Ärzt:innen und Behörden ihre Formalitäten klärten, musste ich an die Dialyse, bevor wir dann tatsächlich einen OP-Termin machen konnten. Ich bin also dreimal die Woche abends ins Dialysezentrum und habe dann dort nachts am Dialysegerät geschlafen, sodass ich morgens ganz normal in meinen Alltag starten konnte. Diese Zeit bis zur Nierentransplantation hat mich bei weitem nicht so sehr belastet wie die Lungentransplantation. Nur nach der Dialyse war ich oft schneller müde und habe ein paar Treffen abends abgesagt.

Die Transplantation selbst verlief sehr unkompliziert. Wir haben einen Termin bekommen und mein Vater und ich wurden am Abend vorher stationär aufgenommen. Er ist zuerst operiert worden und ich daraufhin ein paar Stunden später. Als ich dann aus dem OP entlassen wurde, hat mir der Operateur schon im halb-wachen Zustand gesagt: „Also die Niere pinkelt super, die hat schon im OP losgepinkelt. Auch Ihrem Vater geht es gut!“ Er ist dann drei Tage nach der OP nach Hause und ich bin acht Tage nach der OP nach Hause. Ich brauchte auch keine Reha, weil es mir so gut ging.

Mein Weg nach Rio

Sechs Wochen nach der Nierentransplantation habe ich wieder Schritt für Schritt mit dem Training angefangen. Sportlich ging es wieder viel besser, als man mir von ärztlicher Seite vorhergesagt hatte. Ich habe gemerkt, dass ich nicht unbedingt weniger belastbar war als die anderen, die so um mich herum waren. Irgendwann bin ich ins Transplantationszentrum gefahren und habe mich nach dem Thema Leistungssport erkundigt. Dort bin ich natürlich erstmal angeguckt worden, als ob ich völlig verrückt sei. Nach dem Motto: „Leistungssport mit Spenderlunge? Das geht nicht! Das ist medizinisch nicht möglich und es hat auch noch nie einer gemacht!“

Nachdem ich wusste, dass das geht, habe ich einfach weiter gemacht. Es wurde ein bisschen zum Selbstläufer. Durch einen Schlaganfall 2010 und eine leicht halbseitig-spastische Lähmung hatte ich sogar die Option, auch im paralympischen Sport starten zu können. Interessanterweise ist eine Organtransplantation kein Kriterium, um am Parasport starten zu können. Dafür gibt es keine Startklassen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich nicht das Ziel, mal zu den Paralympics zu kommen oder gar Paralympics-Siegerin zu werden. Das war noch überhaupt kein Thema. Aber ich habe gemerkt, dass ich von den sportlichen Leistungen her nicht so weit von der Norm für Meisterschaften entfernt bin; auch nicht für internationale Meisterschaften. Das weckte meinen sportlichen Ehrgeiz und darauf habe ich seitdem trainiert. 2013 erfüllte ich tatsächlich die internationale Norm, um an den Europameisterschaften teilzunehmen. Damit begann meine Profikarriere über den Behindertensportverband.

Ich bin dann nach Leverkusen umgezogen, weil dort die Trainingsbedingungen besser und professioneller sind. Ich konnte mich fortan komplett auf den Sport konzentrieren. So bereitete ich mich auf die Paralympics 2016 in Rio de Janeiro vor – mit 12 Trainingseinheiten in der Woche. Trainiert wurde morgens und nachmittags jeweils von Montag bis Samstag; Sonntag war immer frei. Dazwischen gab es dann Physiotherapie, Sportpsychologie und Ernährungsberatung.

Zu dem Zeitpunkt bin ich alle sechs Monate ins Transplantationszentrum gefahren. Es gab aber auch einen engen Kontakt zwischen den Ärzt:innen im Transplantationszentrum und den Ärzt:innen am Olympiastützpunkt. Man wird über den Olympiastützpunkt auch medizinisch betreut. Das gilt für alle Sportler:innen, aber in meinem Fall war das natürlich intensiver. Auch meine Trainerin hat sich natürlich eng mit den Ärzt:innen ausgetauscht. Wir wollten natürlich Sport auf hohem Niveau machen, aber die Organe auf gar keinen Fall in Gefahr bringen. Beim Kugelstoßen zum Beispiel geht es um Muskelmasse. Viele Sportler:innen nehmen Eiweißprodukte, um besser Muskeln aufbauen zu können und das durfte ich natürlich nicht verwenden. Die Ärzt:innen im Transplantationszentrum wurden auch dadurch besänftigt, dass durch den Sport die Lungenfunktion immer besser wurde.

Meine zweite Lungentransplantation

Zehn Jahre lang habe ich mit meiner ersten Lunge völlig unbehelligt gelebt. Ich hatte keine Abstoßungen, kaum Infekte und nie irgendwas Schlimmeres. Dann kam aber der große Schlag. Als Lungentransplantierte:r hat man einen kleinen Computer zu Hause; ein kleines Gerät, in das man jeden Tag einmal reinpustet, um einen bestimmten Lungenfunktionswert zu bestimmen, der schnell eine Abstoßung anzeigen würde. Dieser ist dann immer weiter abgefallen. Das ist das Alarmzeichen, das anzeigt, dass man ins Transplantationszentrum fahren muss und die Funktion abklären lassen sollte. Durch eine Biopsie wurde dann die Diagnose erstellt: chronisches Transplantatversagen. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet, denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich auch persönlich keine Verschlechterung bemerkt. Dass mir diese Lunge nach zehn so guten Jahren doch wieder verloren gehen sollte, war schon heftig.

Es gibt inzwischen Möglichkeiten, chronisches Transplantatversagen zu behandeln. Zwar kann der bisherige Verlust der Lungenfunktion nicht mehr rückgängig gemacht werden, aber man kann versuchen, den weiteren Verlust aufzuhalten, sodass man auf einem schlechteren Niveau nochmal ein paar Jahre gewinnt. Das hat allerdings nicht gut funktioniert. Ich habe Medikamente genommen, die gar nichts gebracht haben und auch eine extrakorporale Photopherese (ECP) mit der bestimmte Antikörper aus dem Blut gefiltert werden, hat nicht zum Erfolg geführt. Irgendwann war klar, mit meiner Lungenfunktion geht es unaufhaltsam nach unten.

So stand wieder die Entscheidung an, dass ich auf die Warteliste muss. Dieses Mal war das allerdings gar nicht so leicht, darüber war ich selbst auch überrascht. Im Transplantationszentrum sagte man mir, dass ich zu viele Begleiterkrankungen habe und es besondere Regelungen gibt, wenn man wiederholt auf die Warteliste gesetzt wird. Viele andere Patient:innen kommen eben erst gar nicht auf die Wartelisten, die tauchen bei den offiziellen Zahlen nicht auf. Ganz hart gesprochen, lohnt es sich sozusagen für diese Patient:innen nicht, ein neues Organ zu bekommen. Es gibt insgesamt zu wenig Organe, daher haben die Patient:innen Vorrang, die wirklich gute Chancen haben.

Ich hatte nicht damit gerechnet, zu denen zu gehören, bei denen das infrage steht. Ich war ziemlich geschockt, als das Transplantationszentrum sagte: „Wir müssen das prüfen, es ist jetzt keineswegs völlig klar, dass Sie wieder auf die Warteliste kommen.“ So vergingen einige Wochen, es gab viele Gespräche und viele Untersuchungen, aber alles außer der Lungenfunktion war – bedingt durch den Sport – bei mir wirklich tipptopp. So hat dann auch das Transplantationszentrum gesagt, dass sie mich wieder auf die Warteliste setzen.

Nach sieben Monaten auf der Warteliste konnte ich dann im April 2020 wieder transplantiert werden. Glücklicherweise hatte sich meine Lungenfunktion nicht so sehr verschlechtert wie beim ersten Mal. Ich war bis zur Transplantation zu Hause, aber es ging mir schon schlechter. Ich hatte 24 Stunden Sauerstoff-Zusatzbeatmung, die auch immer stärker wurde. Am Ende hatte ich ein spezielles Sauerstoffgerät, das bis zu 50 Liter pro Minute in die Lunge blasen konnte. Das fühlt sich an wie Sturm in der Nase. Viel schlechter hätte es nicht mehr werden dürfen, denn der nächste Schritt wäre wieder die Klinik gewesen. Wenn ich dort auf die Intensivstation gekommen wäre, hätte man mich wahrscheinlich von der Warteliste wieder runterschmeißen müssen – einfach aufgrund meiner Vorerkrankungen. Das Transplantationszentrum sagte, sie transplantieren mich nur noch ein zweites Mal, wenn ich es von zu Hause in einem einigermaßen guten Zustand schaffe. Ob sie das dann wirklich auch so gemacht hätten, weiß ich nicht.

Um 22:30 Uhr wurde ich angerufen und mir wurde gesagt, dass eine Lunge zur Transplantation bereit wäre. Eine halbe Stunde später brachte mich dann ein Krankenwagen ins Transplantationszentrum. Nach ein paar Voruntersuchungen schloss sich noch eine Plasmapherese an. Das ist eine Methode, in der bestimmte Antikörper aus dem Plasma gewaschen werden, die mit der/dem Spender:in sonst nicht kompatibel gewesen wären, denn durch die beiden vorherigen Transplantationen, viele Blutprodukte, die ich im Laufe der Jahre gebraucht habe, und andere Dinge hat mein Körper viele Antikörper gebildet.  Danach habe ich gewartet und bin schließlich gegen Nachmittag in den Operationssaal gebracht worden.

Die zweite Lungentransplantation verlief viel einfacher. Ich glaube, das lag daran, dass mir vorher diese maschinelle Beatmung erspart blieb und ich nicht im künstlichen Koma war. Als ich nach der zweiten Operation aufgewacht bin, war ich sofort klar im Kopf und extubiert. Das war einfach eine komplett andere Situation. Ich hatte auch weniger Schmerzen, weil diese Transplantation minimal invasiv operiert wurde. Meine Hausärztin hat sich kaputtgelacht, als sie den Arztbericht hinterher gelesen hat: „Wie, minimal invasive Lungentransplantation? Wie geht das denn?“

Beim ersten Mal wurde ein großer Schnitt unterhalb der Brust gesetzt, der gesamte Brustkorb geöffnet und auch das Brustbein durchgesägt. Beim zweiten Mal gab es wirklich nur zwei kleine Schnitte unter der Brust; das war ganz anders operiert. Es lag höchstwahrscheinlich auch daran, dass ich hinterher viel weniger Schmerzen hatte. Während mir beim ersten Mal sämtliche Rippen durch das Aufdehnen des Brustkorbs gebrochen worden, waren es beim zweiten Mal nur zwei. In zehn Jahren tut sich wohl einiges in der Medizin. Das macht natürlich einen großen Unterschied. Am nächsten Tag konnte ich schon mit meiner Familie telefonieren und es ging wiederum schnell bergauf.

Genau 21 Tage muss man nach einer Lungentransplantation auf jeden Fall stationär bleiben und genau am 21. Tag bin ich in die Reha gewechselt. Dort war ich wiederum drei Wochen. Es war eigentlich wie bei der ersten Lungentransplantation auch. Während der Reha ging es mir bereits so gut, dass ich mir ein zusätzliches Sportprogramm zusammengestellt habe. Das ging schon drei, vier Wochen nach der Transplantation wieder. Meine großartige Physiotherapeutin hat dann neben den Gruppentherapien täglich noch einmal einzeln mit mir Programm gemacht und mich die Treppen hoch- und runtergejagt oder mit mir im Zimmer spezielle Fitnessprogramme zu Musik zusammengestellt. Wir hatten echt immer Spaß, das war total klasse. Als ich dann nach insgesamt sechs Wochen wieder nach Hause kam, war ich wieder fit wie ein Turnschuh.

Mein Engagement für die Organspende

Meine eigene Geschichte motiviert mich sehr, mich für die Organspende einzusetzen – oder vielleicht auch die Dankbarkeit oder das Gefühl, man will auch was zurückgeben. Ich bin wahnsinnig demütig, dass ich jetzt dreimal schon das Glück hatte, ein Organ zu kriegen. Das ist wirklich nicht selbstverständlich in Deutschland. Ich bin dankbar, dass es mir so gut geht – und ich bin mir dessen bewusst, dass es viele andere Menschen gibt, die nicht so viel Glück hatten wie ich. Ich hatte viele Menschen um mich herum, die auf den Wartelisten gestorben sind und eben nicht rechtzeitig ein Organ bekommen haben. Die Tatsache, dass es mir selbst gut geht und dass ich irgendwie immer wieder Glück hatte, hat mich dazu gebracht, etwas zurückgeben zu wollen und Verantwortung zu übernehmen.

Einerseits die Verantwortung, gut auf die eigenen Organe aufzupassen, andererseits auch die Verantwortung anderen Patient:innen und Spender:innen gegenüber. Ich mache zum Beispiel Angehörigentreffen von der deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) und versuche, mich dort breit zu engagieren, für Jung und Alt. Aber auch die Themen Aufklärung zur Organspende oder Pro-Organspende treiben mich um, weil ich glaube, es ist immer die beste Werbung, eine Geschichte von jemandem zu hören, den das betroffen hat und den man auch mal live sehen kann. Man kann sachlich viel erzählen, aber wenn die Leute noch nie jemanden kennengelernt haben, der einmal in der Situation war, dann ist das sehr schwierig, sich diese Situation vorzustellen.

Ich habe dann immer mehr Veranstaltungen von der DSO mitgemacht, aber erst mit dem Paralympics-Sieg 2016 war ich richtig viel in der Öffentlichkeit unterwegs. Dadurch war meine Geschichte öffentlich und viele andere Anfragen kamen auf mich zu. Mittlerweile bin ich schon seit fünf Jahren unterwegs – inzwischen auch für verschiedene Firmen oder im europäischen Ausland. Ich warte immer darauf, dass das mal wieder abebbt, aber bis jetzt ist das noch nicht passiert. Aber auch direkt nach den ersten Transplantationen, habe ich versucht, etwas zur Aufklärung beizutragen. 2010 bin ich zu den Sportlern für Organspende gekommen. Das ist ein Verein, der sich für Organspende engagiert und positive Werbung macht.

Die Leute sind immer sehr beeindruckt – und ich habe immer das Gefühl, die Mediziner:innen am meisten, wenn die meine Geschichte hören. Offensichtlich ist es für Mediziner:innen, gerade für die Transplantationsmediziner:innen, immer sehr erstaunlich, mal jemanden zu sehen, der so ist wie ich. Die allermeisten Rückmeldungen sind positiver Natur, nur ab und zu gibt es andere Patient:innen, die oft nicht selbst transplantiert sind, aber dieselbe Grunderkrankung haben. Die fühlen sich durch mich und meine Lebensweise manchmal angegriffen, weil sie selbst deutlich mehr Einschränkungen im Leben spüren als ich das tue und auch nach außen vermittle. Dies passiert aber nur vereinzelt.

Meine größte Herausforderung in dieser Tätigkeit war jetzt die Mühe darum, eine Widerspruchslösung zur Organspende in Deutschland einzuführen. Das ist leider gescheitert, aber dafür haben wir sehr viel für gearbeitet, speziell bei den Sportlern für Organspende. Wir waren eigentlich ganz optimistisch, sprachen mit vielen Bundestagsabgeordneten und hatten durchweg positive Rückmeldungen. Sogar Umfragen haben gezeigt, dass der Großteil der Bevölkerung dafür war, diese Lösung einzuführen. Wir waren echt bitter enttäuscht, als dann diese Entscheidung fiel – und das auch noch sehr deutlich.

Die nächste Herausforderung ist jetzt für mich, das Organspende-Register im März nächsten Jahres bekannt zu machen und dafür zu werben, dass sich die Leute dann tatsächlich auch eintragen. Ich bin ein bisschen ernüchtert seit dem DSO-Kongress, weil dort einmal vorgestellt wurde, was man alles machen muss, um sich registrieren zu können. Das ist irrer, bürokratischer Aufwand, typisch deutsch. Nur wenige werden bereit sein, diesen bürokratischen Aufwand auf sich zu nehmen. Ich glaube, man muss dort noch einmal politisch ran und darauf hinwirken, dass so etwas unkomplizierter und schneller gehen muss. Wenn die Menschen grundsätzlich bereit zur Organspende sind, sollte man sie nicht durch solche Hürden davon abhalten. Auch aktuell geht noch ein sehr großer Teil potenzieller Spender:innen verloren, weil niemand den mutmaßlichen Willen der Person kennt und sich die Angehörigen dann in der Situation dagegen entscheiden.

Zudem bin ich im Vorstand des Vereins „Kinderhilfe Organtransplantation“, der sich für Familien mit organkranken und transplantierten Kindern engagiert und mit finanzieller Hilfe aber auch mit Freizeit- und Kontaktangeboten und Beratungsleistungen unterstützt. Ich wieder raus und versuche präsent zu sein und meine Erfahrungen zu berichten. Als Speakerin starte ich gerade wieder voll durch – hauptsächlich mit den Themen Hirntod oder Organspende. Ich mach zum Beispiel Workshops mit einem Neurochirurgen für Klinikpersonal, weil wir beide der Überzeugung sind, dass auch das Klinikpersonal der Intensivstationen von der Organspende überzeugen müssen. Im normalen Intensivklinikbetrieb machen das viele nur, wenn sie wirklich eine persönliche Motivation haben, weil es viel zusätzliche Zeit kostet und das Intensivpersonal gerade jetzt am Maximum arbeitet.

Ich mache weiterhin Angehörigentreffen, auch mit dem Thema Organspende, und für Firmen die Themen Motivation und Resilienz. Das hat dann mit meiner Geschichte und mit dem sportlichen Erfolg zu tun. Das fasziniert die Menschen: Die Kombination aus einer krassen medizinischen Geschichte und einem sportlichen Erfolg; das hat dann aber nur sekundär etwas mit Organspende zu tun. Ich gebe zudem Vorträge zum Thema paralympischer Sport – vor allem in Schulen oder Sporthochschulen – und zeige Beispiele aus dem Parasport. Dort bin ich auch als Moderatorin für Veranstaltungen tätig.

Ich freue mich, mit meiner Geschichte und „meinen“ Erfahrungen andere Menschen motivieren zu können. Und ich hoffe, dass ich das noch eine ganze Zeit weiter machen kann.“